Mittwoch ist der 1.5., das ist ein Feiertag. Eine gute Gelegenheit, per Brückentag eine längere, weitere Tour zu fahren. Nur welchen Tag nimmt man dann frei? Mo/Di oder Do/Fr? Ich entscheide mich für beides
Die Idee ist, alles an Passknackern wegzumampfen, was in NRW und Rheinlandpfalz liegt, mit dem Schwarzwald anzufangen, und alles was ich unterwegs sonst noch so finde. Fr-So ist ein kleines MO24-Treffen in der Nähe von Luxemburg, damit ich nicht ganz alleine umherfahren muss. Ich nutze günstige Hotels zum Übernachten und erhalte diese Routenplanung:
3824km, 73 h Fahrzeit, verteilt auf 9 Tage – das sieht doch gut aus! Freitagabend wird relaxt, und Samstag früh geht‘s dann los ab Essen. Ich fahre meine treue 2008er Versys 650, im blauen Kleid, auf goldenen Rädern mit CRA3. Das Gepäck wandert in die gelbe Packrolle, die an der langen Seite gerollt wird – man kommt also wahlweise an bestimmte Dinge ran und muss nicht alles rausholen. Nebenbei halte ich die Augen offen nach gebrauchten Versys 650, die zum Verkauf stehen, denn ein vierter Gang wäre schon hilfreich auf Dauer.
Samstag,
27.4.
Morgens ist es trocken, aber es ist Regen angesagt – dann Schauer über den ganzen Tag verteilt, und deutlich unter 10 Grad. Also warme Textilkombi anziehen und Regenkombi drüber. Zunächst geht es auf die Autobahn, dann Eifel. Dort sammle ich die östlichen Passknacker auf. Die westlichen sind für den Rückweg vorgesehen.
Wegen der gemischten Wetteraussichten ist sehr wenig Motorradbetrieb. Immerhin ein paar Sportwagen haben sich in Adenau eingefunden, Nordschleifen-Luft schnuppern. In Adenau ist es sogar sehr voll. Alle müssen schließlich Einkaufen fahren! Für mich geht es aber weiter zur Mosel. Inzwischen regnet es hin und wieder, wie angekündigt. Die Regenkombi hält mich trocken und warm, und die Heizgriffe geben ihr Bestes.
Unbeirrt sammle ich Passknackerpunkt um Passknackerpunkt. An der Mosel kostet mich eine Baustelle ordentlich Zeit, denn der Mont Royale kann man zurzeit nicht von Norden her anfahren. Wegen der Moselschleifen sind das 20 Minuten Umweg. Der Umweg hat aber eine schöne Aussicht und eine Tankstelle, wo ich mir eine Laugenbretzel gönne. Wenn ich die Regensachen erst mal ordentlich anhabe, lasse ich sie auch gerne an, denn die Übergänge von Jacke zu Handschuhen sind eine Wissenschaft für sich.
So mampfe hier nun auch mit Handschuhen an und Klapphelm auf in der Tanke vor mich hin, als mich jemand anspricht. Mit Gehörschutz gar nicht so leicht zu merken, aber sie hat meinen Geldbeutel in der Hand. Oops! Das wäre jetzt blöd gewesen, gleich beim zweiten Tankstopp den Geldbeutel zu verlieren. Danke!
Weiter geht's in den Hunsrück, und zwar insbesondere in den Looswald. Als die Passknacker westlich der Pension sind nett zu fahren, und Radfahrer haben eine interessantes Schild aufgestellt:
Dann mache ich auf schnellstem Weg auf die Autobahn nach Bobenheim-Roxheim, wo eine Versys zu verkaufen ist. Das sind 45 Minuten Autobahn, allerdings auf der (für meine Begriffe) völlig verkehrsfreien A61. Man kann einfach jemandem hinterher rollen, wenn man nicht mehr so ganz fit ist.
Der Verkäufer ist sehr freundlich und erzählt als erstes, dass bei der Versys leider das hintere ABS defekt ist. Das hat er mich nicht vorher gesagt, und das steht auch nicht in der Anzeige. Na schön, immerhin kein Betrugsversuch, aber 90 Minuten Fahrt für nix. Eine mangelhafte Versys habe ich schon. Klar, man könnte das intakte ABS-Steuergerät aus meiner rüber bauen in seine und umgekehrt, aber so verbaut wie das ist traue ich mir das nicht zu. Am Straßenrand daheim schraubend erst recht nicht, und von Bremsen lasse ich ohnehin die Finger.
Also ab zur Unterkunft. Wieder 45 Minuten Autobahn, immerhin hat die alte Versys Geburtstag, als sie ihren 120.000ten Kilometer unter die Räder nimmt. Hier habe die Pension Resch für mich gebucht, in einem Dorf namens "Spabrücken", was wohlige Erinnerungen an das Spa in Belgien in mir weckt. Ich habe ein Upgrade-Zimmer gebucht, und es ist tatsächlich riesig, und dazu gibt‘s noch einen Flur und ein Bad, das größer als manch andere Hotelzimmer ist. Die Hausherren sind sehr nett und kümmern sich um alles. Fast wie ein Besuch bei den Großeltern - im positiven Sinn!
Das Abendessen gibt's ein paar Meter hoch die Straße, für mich ein prima Jägerschnitzel. Das WLAN in der Pension ist schneller als mein Festnetz daheim, aber das bin ich als Bewohner dieser Kleinstadt Essen mit 582.000 Einwohnern ja gewohnt. Liegt ja nur mitten in einem Ballungsgebiet mit 5 Mio Einwohnern. Gute Nacht, Deutschland!
Sonntag 28.4.
Morgens werde zunächst beim Frühstück verwöhnt. Die Pension sei hiermit ausdrücklich empfohlen. Ich schwinge mich dann in den Sattel, den restlichen Hunsrück und Rheinhessen knacken, und mich dann nördlich durch das Siegerland nordwärts vorzuarbeiten. Wieder ist Regen angesagt, aber vor allem ist es kalt. Also wieder Regenkombi, bin ich ja schon gewohnt. Die Heizgriffe sind auch nicht umsonst dran und funktionieren. Meine Route überquert den Rhein nach Hessen rein. Es gibt etwas längere Etappen ohne Passknacker, weil ich im Siegerland ja schon am Rückweg aus Nürnberg aktiv war.
Ich nehme heute die Fähre bei Ingelheim für 3 Euro. Das ist immer wieder nett und fast romantisch.
Rheinhessen empfängt mich mit tollen Strecken einerseits, man schwingt sich geniale Täler entlang, und manche Steilstrecke würde auch in Frankreich gut aussehen. Andererseits hat jedes Dorf Blitzer, gerne auch Tempo 30, und stellenweise gibt es außerorts spezielle Tempolimits für Motorräder, oder gleich Streckensperrungen.
Eine davon erwischt mich knapp vor Schlangenbad, wo ich einen geschäftlichen Termin habe: Jemand möchte eine Versys 650 verkaufen. Ich möchte eine kaufen. Diese hier aus 2007 steht in einer Garage und hat nur 27000 km gelaufen, ist aber sehr ungepflegt, und beide Verkleidungen sind defekt. Rechts ein Spannungsriss, offenbar durch eine zu sehr angeknallte Schraube, und links hat sich der Givi Handprotektor den Platz genommen, den ihm die Verkleidung verwehren wollte. Die linke Fußraste und der Schalthebel sind neu. Und beides ist knochentrocken und bretthart zu betätigen. Angesichts dieser fragwürdigen Schrauberleistungen, übrigens von einer lizensierten Kawasaki-Vertretung, frage ich mich, was da noch kommen mag? Klar ist, dass hier wohl noch die erste Kette rauf ist, und dass der Auspuff rasselt bzw. zwitschert wie ein VW Käfer. Okay, den könnte ich wirklich gegen meinen alten austauschen, wobei 12 Jahre lang feste Bolzen im Motor lösen auch nicht ohne ist. So oder so, die Kiste kommt für mich im Frage, und wir schreiten zur Probefahrt. Er möchte im Auto hinterherfahren, dagegen habe ich nichts einzuwenden und verspreche, dass ich versuchen werde, ihn nicht abzuhängen. Er ist etwas verwirrt, und meint, er weiß ja nicht, wie ich fahre. Tja, ich schon
Die Probefahrt offenbart einen rasselnden Auspuff, eine sehr kraftfordernde Kupplung, und ein viel zu niedriges Standgas von ca. 900/min. Dass sie da nicht ausgeht ist respektabel! Fahrerisch ist aber alles prima. Das ABS regelt vorn und hinten wie es soll, der Motor zieht sauber hoch, die Kupplung rutscht nicht, es federt wie es soll, und alle Gänge vertragen Last. Das Motorrad hat zerkratzte Givi-Seitenkoffer dabei und soll 2650 Euro kosten. Die Reifen sind 900 km alte Metzeler Roadtec 01. Seitenkoffer mag ich nicht besonders, außerdem habe ich bereits H+B Junior Koffer mit mehr Platz. Daher sage ich: Für 2300 ohne Koffer würde ich sie nehmen. Das hat auch verhandlungstaktisch den Vorteil, dass der Verkäufer vermutlich nicht drauf vorbereitet ist, und keinen Wert für die Koffer parat hat. Normalerweise würde ich einen guten Koffersatz mit 150-200 Euro einschätzen, aber inkl. Träger und ohne Kratzer. Der hier hat Kratzer und ist eigentlich schwarz, während das Motorrad grau ist. Der Träger muss auch dranbleiben, weil das Motorrad sonst keine Soziusgriffe hätte, was nicht zulässig ist. Er muss überlegen und möchte lieber 2400.
Ich möchte aber keine 2400 geben, denn hier ist Arbeit nötig, und damit diese Versys hier besser wird, muss die alte schlechter werden - zermackte graue Seitenverkleidungen möchte ich jedenfalls nicht behalten. Der Verkäufer erwartet abends noch einen Kaufinteressenten, und daher wollen wir so verbleiben: er überlegt es sich, ich bleibe bei 2300, und wenn sie weggeht, hatte ich halt Pech und suche mir eine andere. Dann kommen wir ins quatschen: Ich habe ein Aachener Kennzeichen, ja, weil ich dort Doktorand war. Aha, der Verkäufer ist Professor in Aachen, in einem anderen Fachbereich der gleichen Uni. Wir plaudern über die akademischen Karrieremöglichkeiten in Deutschland, und irgendwann fällt der Groschen: Für 2300 nimmst du sie jetzt, ja? Ja, das habe ich dir angeboten, das gilt. Dann Hand drauf, ich habe ein gutes Gefühl bei dir. Dankeschön! So sieht das neue Motorrad aus (als ich es viel später abhole, daher mit Tasche):
Also regeln wir die Formalien im Haus, einem weitläufigen Bau mit unverschämt schneller Internetanbindung (Glasfaser), die Faktor 100 schneller als bei mir daheim ist - Schlangenbad hat ja auch 6274 Einwohner, das ist eine Metropole! Ich leiste eine Anzahlung und hole die Maschine nach meinem Urlaub ab. Der Verkäufer nimmt mich ab Aachen mit, was gut ist, weil man von keinem Bahnhof zu seinem Haus kommen könnte.
Aber nun geht meine Motorradfahrt weiter! Nördlich ins Siegerland. Mein Tagesziel ist Bad Laasphe. Abends scheint die Sonne und es wird fast warm in den ganzen Gummiklamotten, aber nur fast. Die Stunde Versys-Kauf fehlt mir nicht wirklich, ich hatte stets nur mit 7-8 Stunden Fahrzeit am Tag geplant. Die Unterkünfte habe ich auch stets möglichst so gewählt, dass man die Route noch verlängern oder kürzen kann, also einzelne Punkte abends oder morgens fahren. Kürzen ist heute nicht nötig, ich erfülle meinen Plan. Einer der Punkte nördlich von Bad Laasphe ist wegen einer Baustelle zur Zeit Sackgasse - glücklicherweise wollte ich ihn ohnehin genauso fahren, als letzten Punkt vor dem Hotel.
Die Pension Klein in Bad Laasphe ist ein Neubau, Zweckbau, noch nicht lange offen und daher riecht es noch stark nach Farbe. Ich mag dieses moderne ja nicht, das ist so austauschbar und beliebig. Außerdem hat man in modernen Bauten keinen Quadratzentimeter mehr Fläche im Zimmer als unbedingt nötig. Es ist auch kein Ansprechpartner vor Ort. Drückt man auf die Klingel, hat man jemanden am Telefon, der die Tür öffnet und alles erklärt. Nun gut.
Das Abendessen gibt's beim Griechen um die Ecke, weil es das nächste ist: 20 Minuten Fußweg, das tut gut. Pasta mit Gyros, mit Metaxa-Sauce überbacken, Abendessen für Champions. Ich bin vor allem auch ganz froh über die Bewegung
Dann geht’s zufrieden ins Bett. Versys gekauft, schöne Tour gefahren, was will man mehr?
Montag 29.4.
Irgendein Blödmann (ich) hat die Versys über Nacht so stehen lassen, dass Wasser vom Dach eines Nebengebäudes genau längs drauf gelaufen ist. Bei 1° Lufttemperatur ist ein völlig nasses Motorrad nicht exakt das, wo man sich morgens draufsetzen will. Immerhin kann man von einer treuen Japanerin erwarten, dass sie trotzdem läuft als wäre das so gedacht. Ich lasse sogar vor dem Starten 3 Minuten die Heizgriffe an, während ich mich fertig anrödle - das ist gar kein Problem, und so beginnt diese Tour.
Heute scheint die Sonne, es soll erst nachmittags ein Regengebiet durchziehen. Der erste Passknacker liegt genau nördlich, entlang meines Weges, und so angenehm kann eine Fahrt beginnen.
Weiter steht heute im Sauerland nur noch "Kühhude" auf dem Plan. Da fährt man eine 7 km lange Sackgasse in den Rothaarkamm hinein, macht ein Foto, und fährt dann wieder zurück. Naja! Dann geht es Richtung Osten, Großraum Edersee. Man merkt die Landkreisgrenzen recht deutlich. Die Verkehrspädagogik ändert sich von "alles verbieten und überwachen" hin zu "lasse mal machen". Es gibt sehr gut ausgebaute Bundesstraßen, wo man reichlich Strecke machen kann, teilweise sogar kreuzungsfrei. Dank dreier Passknackerpunkte gibt es auch ziemlich geniale Kurvenstrecken zu entdecken. Ich hatte ganz vergessen, wieviel Spaß das macht, dieses innerdeutsche Bundesstraßengebolze. Das mag ich sonst nur in Frankreich, aber ich habe wohl vergessen, dass es in Deutschland viele Ecken gibt, wo weit weniger los ist als in der Eifel und allem anderen, was zu nah an Ballungsgebieten ist. Als Großstadtkind und -bewohner kann man schon mal vergessen, wie ländlich geprägt Deutschland insgesamt doch eigentlich ist. Leider kommt der Regen früher als erwartet schon gegen 14 Uhr, als ich gerade via Point Alpha in Rhön einsteige. Immerhin passt es zum Namen „Wasserkuppe“.
Das wird ziemlich ungemütlich, weil ich jenseits der 700 Höhenmeter unterwegs bin, und da ist dann teilweise auch Nebel mit 100 Metern Sichtweite. Dafür ist auch fast Null Verkehr, und die Conti Road Attack 3 grippen wie Sau an der nassen Straße. Das ist wirklich beeindruckend. Zur Beute der Regenexpress-Versys werden in dieser Suppe auch diverse Autos, die mich vermutlich für beknackt halten. Aber das ist nicht mein Problem und lieber das als Gischt.
An der Enzianhütte, eigentlich dem letzten geplanten Wegpunkt dieser Etappe, raste ich etwas länger für eine heiße Suppe und ich will abwarten, bis die Schauer nachlassen. Probeweise plane ich die südlichen Punkte in der Rhön in die Route ein und erhalte 2 Stunden Umweg. Es ist 17 Uhr, das passt doch! Also geht es wieder in den Sattel, Pässe knacken. Einer davon ist am Ende von 2 km Stichweg mit Schotter, und ich saue die Versys fleißig ein. Wird ja eh gleich wieder gewaschen, spätestens auf den 20 km Autobahn nach Fulda.
Das Hotel heute ist ein Landgasthof. Leider ist mein Zimmer klein und kalt, die Heizung reißt nicht so recht an, das Bett wirkt durchgelegen und einen Haartrockner gibt es im ganzen Haus keinen. Dafür ist der "Fitness"-Salat mit Hähnchen genug für zwei - Fitness muss man anscheinend sehr ernst nehmen. Die nicht mehr wirklich wasserdichten Daytona-Stiefel dürfen im Heizungskeller übernachten. Meine Socken bleiben dank Müllbeuteln warm und zumindest von außen trocken. Für Zivilbetrieb braucht man dann natürlich ein zweites Paar Socken.